Entdeckung

Yleia lief unruhig in ihrem Zimmer auf und ab.
Rahmiron hatte versprochen, bis zum Morgen Nachricht zu senden, aber inzwischen neigte sich der Tag bereits wieder seinem Ende zu, und noch hatte keiner ihrer Botenvögel etwas Neues zu berichten. Kurz entschlossen rief sie nach Lasaj-ja. "Mylady?"

"Bring mir meinen Mantel. Ich gehe aus."

"Jawohl, Herrin." Mit einer Verbeugung verschwand sie. Die Königstochter lehnte sich seufzend an die Fensterscheibe. Die kühle, glatte Oberfläche tat ihr gut. Warum musste ihr Vater sie ausgerechnet diesem ekelhaften Sakar versprechen?! Die Frauen der Mindul hatten sich ihre Männer stets selbst gesucht und sie würde es nicht anders halten!

Sie liebte Rahmiron, und selbst wenn Sakar ihm all seinen Ruf, seine Magie und seinen Reichtum nahm - lieber würde sie einen Bettler heiraten und ihn zum König machen als jemandem Macht zu geben, der es nicht verdiente.

Lasaj-ja trat ein und legte ihr den Umhang um die Schultern. Unterwürfig sah sie zu Boden. "Mylady, darf ich fragen, wohin Ihr zu dieser Stunde noch geht?" Yleia lächelte. "Besser, du weißt es nicht. Leg dich schlafen. Ich bin bald zurück." Das Mädchen knickste. "So mögen dich die Lichter beschützen." "Wie die Sonne bei Tag, so wache der Mond des Nachts über Euer Kommen und Gehen." Die Sklavin sah verblüfft auf und entfernte sich eilig. Normalerweise war es verboten, einer solchen Person wie ihr die traditionell geforderte Antwort zu geben, aber seit Rahmiron einer von jenen war, dachte Yleia anders.

Leise hastete sie durch die Straßen. Es wurde bereits dunkel, und viele Wesen, zweibeinig, dreibeinig, fünfarmig strömten in die Spielsalons und Kneipen. Die Tätowierungen in ihrem Gesicht allein hätten gereicht, um sie vor jeglicher Belästigung zu schützen, aber mit dem Schwert, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte an ihrer Seite, fühlte sie sich bedeutend sicherer.

Bald hatte sie die Sklavenviertel erreicht und nur wenig später betrat sie die Hütte, die man Rahmiron zugewiesen hatte. Schon von weitem hatte sie bemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war. Das einzige Fenster war zerbrochen, und als sie auf der Schwelle stand, roch sie Blut.

"Bitte, bitte, lass ihn nicht tot sein!" Innerlich flehte sie zum Himmel hinauf, obwohl sie es besser wußte. Sie konnte, sie wollte nicht ohne ihn leben!

"Rahmiron!" Laut rief sie seinen Namen, aber es kam keine Antwort. Auf dem Lager lag eine leblose Gestalt. Zitternd näherte sie sich ihr.

"Rahmiron ...." Sein Leichnam lag still da, fast als ob er schliefe, aber trotz der Dunkelheit erkannte sie den großen schwarzen Fleck auf seiner Brust.

"Nein!" Yleia sank neben dem Bett auf die Knie, griff nach seinen Händen, die sie so oft liebkost hatten, küßte sie, küßte seine schmutzigen, schon starren Lippen. Ihre Tränen hinterließen Spuren auf seiner Haut und es dauerte lange, bis sie sich soweit gefasst hatte, dass sie die schwere Axt entdeckte, die neben ihm lag. Diese Waffe hatte er mit Vorliebe verwendet ....

Plötzlich wurde ihr klar, was geschehen war. Ihre Augen blitzten auf. "Rahmiron, bei deinen Augen! Ich werde dich rächen!"

Der Morgen brach bereits an, als sie das brennende Haus verließ. Wenn er schon kein Grab haben konnte, so sollte sein Körper direkt zum Himmel fliegen. Es hieß, manchmal nahmen die Sterne Seelen auf, die ebenso einsam waren wie sie selbst.